Neue Publikation: Fischkonsum einer Nation erklärt einen Teil der Schwankungen in den PISA-Werten

Fischkonsum einer Nation erklärt einen Teil der Schwankungen in den PISA-Werten der Schüler verschiedener Länder – zeigt eine neue Publikation von uns und erhellt damit die Bedeutung der Omega-3 Fettsäuren

Gerade eben ist eine neue Publikation von uns online erschienen: http://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/1403494817717834 [1]. Es ist keine sonderlich komplexe Arbeit. Sie hat aber einen interessanten Ansatz, der auf Volker Schmiedel zurückgeht und den bekannten Zusammenhang zwischen Omega-3-Fettsäuren und Gehirnentwicklung bei Kindern auf einer nationalen – Public-Health – Ebene umsetzt.

Wir fragten uns, ob der Fischkonsum einer Nation in Zusammenhang steht mit den Schulleistungen von Schülern, gemessen mit dem berühmt berüchtigten PISA-Test. Das ist ein sehr grober Parameter für die Verfügbarkeit von Omega-3 Fettsäuren, da Fisch die Hauptquelle dieser Fette ist.

Auch der PISA-Test ist keinesfalls ein sehr zuverlässiger Indikator für die intellektuelle Entwicklung von Kindern, aber immerhin der einzige, der international verfügbar und vergleichbar ist. Wir konnten die PISA-Werte von 64 Ländern verwenden, da wir für diese auch Daten zum Fischkonsum vom Bericht der Ernährungskommission der Vereinten Nationen hatten. Zusätzlich lagen uns für diese Länder auch Informationen zur wirtschaftlichen und technischen Entwicklung des Landes (Bruttosozialprodukt und Internetverfügbarkeit) und zum Stillverhalten der Mütter vor.

Denn man weiß, dass Stillen ein wesentlicher Faktor für die spätere intellektuelle und Intelligenzentwicklung der Kinder darstellt (und für viele andere positive Entwicklungen natürlich auch). Weil diese Daten sehr grobe Schätzungen auf Populationsebene sind, ist es umso erstaunlicher, dass wir überhaupt etwas gefunden haben. Nämlich, dass der wirtschaftliche und technische Fortschritt gemessen am Bruttosozialprodukt und an der Internetanbindung den größten Einfluss auf die PISA-Werte von Kindern eines Landes hat.

Der mittlere PISA-Wert korreliert signifikant mit r = .85 mit der Verbreitung des Internets, mit r = .76 mit dem Bruttosozialprodukt, mit r = .28 mit dem Stillen und mit r = .57 mit dem Fischkonsum eines Landes. Dieser stellt, wie gesagt, ein indirektes Maß für die Omega-3-Versorgung dar (warum das wichtig ist, kommt gleich).

Nun ist interessant, was passiert, wenn man diese Variablen gemeinsam dazu verwendet, um den PISA-Wert statistisch aufzuklären. Dies geschieht mit einer Regressionsrechnung. Diese nimmt nur solche Variablen in eine lineare Gleichung auf, die gemeinsam die Schwankung in einer Zielvariable, hier dem PISA-Wert, besser aufklären als alleine. Gleichzeitig sieht man damit, ob eine Variable unabhängig von Scheinkorrelationen einen Beitrag leistet.

Und das ist in der Tat so: Die beiden einzigen Variablen aus unserer Sammlung, die die Schwankung in den PISA-Werten aufklären, sind die Internetverbreitung und zusätzlich der Fischkonsum. Dass damit nicht alle Variablen abgedeckt sind, die potenziell wichtig sind, ist klar. Aber unser Ziel war ja auch nicht zu klären, welche Elemente die PISA-Werte mit bestimmen. Dazu hätten wir viele andere Variablen über das Schulsystem gebraucht.

Wir wollten einfach wissen, ob der Omega-3 Konsum einer Nation, zusätzlich zum technischen Fortschritt, einen Beitrag leistet. Und das tut er. Insgesamt können wir mit den beiden Variablen „Internetverbreitung“ und „Fischkonsum“ 72% der Schwankungen in den PISA-Werten der 64 Länder aufklären, wobei der technische Fortschritt, gemessen an der Internetverbreitung, am wichtigsten ist. Das Bruttosozialprodukt ist ein schlechterer Erklärungsfaktor und geht daher nicht in die Gleichung ein.

Aber zusätzlich spielt auch der Fischkonsum eine signifikante Rolle und erklärt nochmals 5% der Schwankung. Interessanterweise geht das Stillverhalten nicht in diese statistische Aufklärungsgleichung ein. Vermutlich deshalb, weil durch das Stillen Omega-Fettsäuren an die Kinder weitergegeben werden und diese daher eine grundlegendere Rolle spielen.

Das scheint mir sehr interessant zu sein, zeigt sich doch darin auf einer Populationsebene, was man im Einzelfall schon lange weiß: Omega-3 Fettsäuren spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des zentralen Nervensystems von Föten (über die Mutter) und Kleinkindern (durch das Stillen), sowie später beim Lernen, und dann vor allem wieder im Alter [2, 3, 4].

Fisch ist für die meisten Menschen noch immer die Hauptquelle von Omega-3 Fettsäuren, und viele Studien zeigen daher, dass regelmäßiger Fischkonsum förderlich für die Gesundheit ist. Deswegen ist in unserer Studie auch der Zusammenhang zwischen intellektueller Entwicklung der Kinder und Fischkonsum einer Nation so deutlich.

Warum ist das so?

Omega-3 Fettsäuren sind essentiell, genauso wie die Omega-6 Fettsäuren oder Vitamine, das heißt wir können sie nicht selber bilden, sondern müssen sie mit der Nahrung zu uns nehmen. Omega-3 Fettsäuren sind dabei die Ausgangsstoffe für jene Phospholipide, die das Nervensystem verwendet, um Synapsen, Zellmembranen von Neuronen und manche Botenstoffe zu synthetisieren. Wir brauchen sie also zum Wachstum des Gehirns und der neuronalen Verschaltungen, die vor allem beim wachsenden Nervensystem wichtig sind. Aber eigentlich immer, wenn wir lernen.

Viel brauchen wir nicht davon, aber wir brauchen sie; ca 0,5-1 g pro Tag reichen. Regelmäßig und immer wieder neu. Sie kommen vor allem in allen dunkelgrünen Pflanzen vor. Das Märchen Rapunzel erzählt zum Beispiel davon, wie die junge werdende Mutter ganz wild auf Feldsalat (auch Rapunzel genannt) war. Das liegt daran, dass dunkelgrüner Feldsalat viele Omega-3 Fettsäuren enthält und das werdende Kind eben viel davon braucht, weswegen die Mutter starkes Verlangen nach Feldsalat hatte.

Im Meer kommen sie in den dunkelgrünen Algen vor. Von dort werden sie über die Nahrungskette in fettreichen Fischen wie Makrele, Hering, Lachs u.a. angereichert. Auf dem Land werden sie ebenfalls von freilebenden Tieren angereichert, die sich von dunkelgrünen Pflanzen ernähren. Deswegen hat z.B. Käse aus den Bergen relativ viel Omega-3 Fettsäuren, oder Eier von Hennen, die viel Auslauf haben und die nicht nur mit Kraftfutter gefüttert werden. Auch im Fleisch von Tieren, die frei grasen können, reichern sich Omega-3 Fettsäuren an.

Aus diesem Grund ist in unserer Studie auch Fischkonsum ein wichtiger Spiegel der Verfügbarkeit von Omega-3 Fettsäuren. Pflanzliche Quellen von Omega-3 Fettsäuren sind, außer den dunkelgrünen Pflanzen, manche Nüsse, wie etwa Walnüsse, und manche Samen, wie Leinsamen oder Leindotter. Allerdings sind bei manchen Menschen die Syntheseschritte (siehe unten) ineffizient, weswegen sie die Ausgangsprodukte brauchen, die aus tierischen Quellen stammen.

Omega-6 Fettsäuren kommen hingegen vor allem in ölhaltigen Früchten und den meisten anderen Nüssen vor. In unserer Nahrungsmittelproduktion sind Soja, Sonnenblumenkerne, Mais und deren Öle die Hauptquellen für Omega-6 Fettsäuren. Daher sind auch praktisch alle tierischen Produkte, die industriell erzeugt sind – Fleisch, Eier, Milch und deren Produkte – sehr reich an Omega-6 Fettsäuren, weil unsere Tiere ja mittlerweile sehr stark mit Kraftfutter aus diesen Quellen ernährt werden.

Das Wichtige dabei ist folgendes: Omega-3 und Omega-6 Fettsäuren durchlaufen in unserem Organismus komplexe metabolische Umwandlungen bis am Ende diejenigen Fettsäuren verfügbar sind, die der Körper braucht (siehe Abbildung).

Abbildung: Die Umwandlung von Omega-3 und Omega-6 Fettsäuren im Körper

Diese Umwandlung geht durch die gleichen enzymatischen Wege für beide Ausgangsprodukte. Idealerweise sind daher die Mengen der Ausgangsstoffe im Verhältnis 1:1. Und das waren sie auch lange Zeit [5], bis ungefähr zu Anfang des letzten Jahrhunderts. Denn auch die Tiere auf dem Land, wo keine Fische verzehrt wurden, hatten viel Omega-3 Fettsäuren angereichert, weil sie im Wesentlichen mit Grünfutter ernährt wurden.

Nimmt aber, wie seit etwa Beginn des 20. Jahrhunderts die Zufuhr mit Omega-6 Fettsäuren massiv zu, dann verändert sich die Ausgangslage. Es werden im Körper zu viele Omega-6 und zu wenig Omega-3-Fettsäuren bereitgestellt. Heutzutage ist in den industriellen Ländern das Verhältnis von Omega-3 zu 6-Fettsäuren irgendetwas zwischen 1:15 bis 1:40. Optimal hingegen wäre ein Verhältnis zwischen 1:1 und 1:4. Denn: die Omega-6 Fettsäuren sind Ausgangsstoffe für pro-entzündliche Zytokine, wie etwa Prostaglandine bestimmter Art, die eben Entzündungsreaktionen vermitteln. Hingegen sind die Omega-3 Fettsäuren Ausgangsstoffe für anti-inflammatorische Zytokine die die Entzündungshemmung vermitteln.

Beides benötigt unser Körper. Wenn aber auf Populationsebene das Gleichgewicht verschoben wird, dann haben wir allmählich die Situation, dass entzündliche Erkrankungen zu bzw. stille Entzündungen überhand nehmen. Es zeigt sich nämlich immer mehr: Nicht die absolute Menge, sondern das Verhältnis dieser beiden Fettsäuren zueinander spielt eine Rolle. Daher haben auch wir in einer früheren Studie gefunden, dass das Omega-3/6 Verhältnis mit kognitivem Abbau in Verbindung steht [4].

In diesem Sinne ist diese neue Studie weniger ein Versuch zu erklären, wie man den Schülern bessere PISA-Leistungen abgewinnt. Das sollen ruhig ihre Lehrer tun. Aber sie zeigt, wie wichtig die Omega-3-Versorgung der Bevölkerung ist.

Im Moment geschieht diese vor allem über Fisch. Ich bin mir nicht sicher, ob das der beste Weg ist. Denn auch die Meere stehen unter Druck. Vielleicht wäre es an der Zeit, unsere industrielle Nahrungsproduktion zu überdenken und zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft zurückzukehren, oder vegetarische Omega-3 Quellen wie Algen stärker zu nützen.

Auf jeden Fall sollten sich sowohl unsere Medizin, als auch die Gesundheitspolitik und unsere Public-Health Forscher stärker darum bemühen, herauszufinden, wo dieses Verhältnis von Omega3/6 eine Rolle spielt und wie es am besten reguliert werden kann. Auf jeden Fall scheint die industrielle Massenproduktion pflanzlicher Öle und ihre Verfütterung an Tiere für den menschlichen Verzehr keine gute Idee zu sein. Denn sie ist dazu angetan, das Verhältnis zum Schlechten zu verschieben und könnte daher eine mittelbare Ursache unter vielen anderen für das Überhandnehmen von Erkrankungen des entzündlichen Spektrums sein, und dazu gehören eigentlich fast alle chronischen Erkrankungen, von den Gefäßerkrankungen, über die rheumatischen und entzündlichen Schmerzsyndrome bis zu neurodegenerativen Erkrankungen, Krebs und vielleicht auch so mancher psychiatrischer Erkrankung.

Quellen / Literatur:
[1] Schmiedel, V., Vogt, H., & Walach, H. (2017). Are pupil’s “Programme for International Student Assessment (PISA)” scores associated with a nation’s fish consumption? Scandinavian Journal of Public Health, online first, Nov 21 2017. DOI: 10.1177/1403494817717834
[2]  Leray, C. (2017). Dietary Lipids for Healthy Brain Function. Boca Raton: CRC Press.
[3]  Watson, R. R. (Ed.). (2009). Fatty Acids in Health Promotion and Disease Prevention. Urbana, Ill: AOCS Press.
[4]  Loef, M., & Walach, H. (2013). The omega-6/omega-3 ratio and dementia or cognitive decline: A systematic review on human studies and biological evidence. Journal of Nutrition in Gerontology and Geriatrics, 32, 1-23.
[5] Kuipers, R. S., Luxwolda, M. F., Dijck-Brouwer, D. A., Eaton, S. B., Crawford, M. A., Cordain, L., et al. (2010). Estimated macronutrient and fatty acid intakes from an East African Paleolithic diet. British Journal of Nutrition, 104, 1666-1687.