Warum sich Menschen in Deutschland impfen lassen

Unsere Impfmotivationsstudie ist nun in BMJ Open publiziert

Ich hatte am 6. Januar 2022 auf den Preprint unserer Studie „Why do people consent to receiving SARS-CoV2 vaccinations – A representative survey in Germany” hingewiesen und diese dort ausführlich besprochen [1].

Nun ist sie in British Medical Journal Open (BMJ Open) publiziert worden [2]. Der Inhalt hat sich nicht verändert gegenüber dem Preprint, daher gehe ich jetzt nicht nochmals im Detail auf die Studie ein. Lediglich eine zusätzliche Analyse kam auf Bitten eines Gutachters hinzu.

Kurz zur Erinnerung

Wir haben in dieser Studie eine bevölkerungsrepräsentative Stichprobe nach ihrer Motivation gefragt, warum sie sich impfen lassen und wenn sie sich nicht impfen ließen, warum nicht. In unserer Stichprobe waren mehr als damals vom RKI genannt geimpft, nämlich 83 %. Das dürfte an der speziellen Situation eines Online-Umfrage-Panels liegen. Der wichtigste Grund für die Impfung war für 60 % die Angst vor der Infektion. Der zweitwichtigste Grund war für 30 %, wieder ein normales Leben führen zu können und der dritte Grund ein sozialer: 30 % wollten zur Ausrottung des Virus beitragen.

Die, die sich nicht impfen lassen wollten, wollten sich nicht mit schlecht geprüften Substanzen behandeln lassen (40 %) oder fürchteten Nebenwirkungen (36 %). Eine Skala, die ich konstruiert hatte, erfasst die Zustimmung zum Mainstream-Narrativ über Covid-19, die sog. Covid Orthodoxie Skala (COS). Wir können über ein logistisches Regressionsmodell mit nur 3 Variablen diejenigen, die willig sind sich impfen zu lassen von denen trennen, die das nicht sind: Die Impfwilligen unterscheiden sich vor allem in ihrer Zustimmung zum Mainstream-Narrativ und haben einen höheren Wert in der Covid-Orthodoxie Skala, sie lesen deutlich weniger wissenschaftliche Originalpublikationen und nehmen mehr Informationen durch öffentliche Medienkanäle (TV und Radio) zu sich. Wir können mit diesen 3 Variablen 25 % der Variation aufklären und 78 % der Menschen richtig zuordnen.

Das ist neu

Neu ist in dieser Publikation ein zusätzliches exploratorisches logistisches Regressionsmodell, das einer der Gutachter vorgeschlagen hat. Wir untersuchten damit, inwiefern sich Menschen, die sich wegen medizinischer Gründe impfen lassen, von denen unterscheiden, die andere Gründe geltend machen. Das waren 523 Personen gegenüber 332 Personen, die vor allem soziale Gründe für die Impfung nannten. Diejenigen, die medizinische Gründe anführten, unterschieden sich von denen mit sozialen Gründen durch folgende Charakteristika:

  • Sie stimmten dem offiziellen Corona-Narrativ mehr zu (Odds Ratio [OR]= 1.28, also um 28 % mehr Zustimmung)
  • Sie waren älter (OR = 1.20)
  • Sie glaubten weniger, dass die Impfung sie vor der Krankheit schützen würde (OR = 0.67)
  • Sie glaubten, dass die Impfung davor schützen würde, andere anzustecken (OR = 1.30)
  • Sie tauschten sich weniger mit Freunden aus (OR = 0.50)

Mit diesen Variablen klären wir knapp 13 % der Varianz auf. Interessanterweise glauben also die, die sich wegen medizinischer Gründe impfen lassen, zwar deutlich mehr an das Mainstream-Narrativ, aber nicht daran, dass die Impfung sie vor der Krankheit schützen würde. Umgekehrt heißt das: diejenigen, die sich aus sozialen Gründen impfen lassen, glauben weniger an das Narrativ, haben aber offenbar aufgrund ihrer Haltung ihre Meinung geändert und denken nun, die Impfung schütze sie vor der Krankheit. Das ist ein typischer Fall von kognitiver Dissonanz: Wer sich aus sozialen Gründen impfen lässt, obwohl er eigentlich nicht an das Mainstream-Narrativ glaubt, tut etwas, ohne davon wirklich überzeugt zu sein. Daher muss man anschließend das eigene mentale Koordinatenystem und die eigene Glaubenshaltung anpassen. Man glaubt dann eben, dass die Impfung Krankheit verhindert. Das ist allerdings nicht (mehr) der Fall.

Für mich ist immer noch der bemerkenswerteste Befund, dass 16 % aller Antwortenden sagen, sie hätten starke Nebenwirkungen erlebt. Damit haben wir klare systemische Nebenwirkungen gemeint, nicht etwa etwas Fieber und Rötung, sondern Krankheit, neurologische und vaskuläre Symptome wie Thrombosen, Erschöpfung und immunologische Probleme. Wir werten das in unserer Publikation als klares Sicherheitssignal, das durch eine sorgfältige prospektive Dokumentation Gehör finden müsste. Eine solche Studie gibt es meines Wissens immer noch nicht.

Insgesamt 30 % geht es nach der Impfung besser, vor allem aufgrund von Erleichterung und besserer sozialer Integration. In der Psychologie ist das eine „negative Verstärkung“: Man nimmt eine Bestrafung weg und verstärkt so das gewünschte Verhalten. Die „Bestrafung“ waren in diesem Falle die sozialen Einschränkungen für nicht Geimpfte und die kontinuierliche Pflicht seinen Gesundheitszustand durch Tests unter Beweis zu stellen. Das gewünschte Verhalten war die Impfung.

Dies sind die psychologischen Mechanismen. Damit ist nicht gesagt, dass irgendwer das mit Absicht getan hat. Psychologische Prozesse greifen immer, egal ob sie absichtlich oder unabsichtlich ausgelöst werden. Dummerweise verstehen die meisten im Gesundheitswesen immer noch zu wenig von Psychologie.

Dass die Impfung übrigens nicht vor schwerer Krankheit schützt oder überhaupt vor Krankheit, wie die Befragten meinten, zeigt sich an folgender Grafik (Abb. 1). Sie stammt von der Webseite des schweizerischen Amtes für Gesundheit (BGA) und betrifft die mit Covid-19 Hospitalisierten, aufgeteilt nach Impfstatus. Ich verwende die schweizer Daten, weil das RKI meines Wissens solche Daten derzeit nicht zur Verfügung stellt. Man erkennt – die schwarze Kurve: Die Ungeimpften waren bis zum Ende des Winters bei den hospitalisierten Covid-19 Fällen in der Überzahl. Seit etwa Ende März halten sie sich mit den voll Geimpften in etwa die Waage (blaue Kurve; die Farbauflösung ist leider schlecht; wer es nachvollziehen will, sollte in die Webseite gehen; dort gibt es einen Cursor der die Zahlen jeweils mitliefert). Und seit etwa Mitte April sind mehr voll Geimpfte als Ungeimpfte mit Covid-19 hospitalisiert. Das sind insgesamt sehr wenige, generell, nämlich unter einer Person pro 100.000 oder etwa 80 auf die ganze Schweiz bezogen, aber relativ gesehen eben mehr Geimpfte als Ungeimpfte. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht.

Abbildung 1 – Anzahl der Patienten im Krankenhaus mit vollständiger Covid-19 Impfung (dunkelblaue Linie seit Mai 2022 die oberste), mit Teilimpfung (hellblau) oder ohne Impfung (schwarz), standardisiert auf 100.000 Einwohner; Quelle: Schweizerisches Bundesamt für Gesundheit (https://www.covid19.admin.ch/de/vaccination/status?vaccStatusDevRel=inz100 Zugriff am 27.7.22)

Quellen

  1. Walach H, Ofner M, Ruof V, Herbig M, Klement RJ. Why do people consent to receiving SARS-CoV2 vaccinations? A Representative Survey in Germany. Research Square. 2022. doi: https://doi.org/10.21203/rs.3.rs-1216502/v1.
  2. Walach H, Ofner M, Ruof V, Herbig M, Klement RJ. Why do people consent to receiving SARS-CoV2 vaccinations? A Representative Survey in Germany. BMJ Open. 2022. doi: http://dx.doi.org/10.1136/bmjopen-2021-060555