Weihnachten und die Respiritualisierung des Christentums

Gott ist Mensch geworden, damit wir vergöttlicht werden“ [1, PG 36, 265], sagt der Kirchenvater Gregor von Nazianz (ca. 325 – 390 n. Chr.) in seiner ersten Weihnachtsansprache, die er als Bischof von Konstantinopel 380 gehalten hat. Das war keine einmalige Feststellung. In seiner berühmten theologischen Rede 4 sagt er sinngemäß das Gleiche: „… bis er mich Kraft seiner Menschwerdung zu Gott gemacht hat“ [2, 4, 14, 12f.].

Gregor von Nazianz war einer der ganz Großen der griechischen Väter aus der Konsolidierungszeit der christlichen Theologie, von der orthodoxen Kirche verehrungsvoll als „Theologos – der Theologe“ betitelt. Er transportiert also eine der wesentlichen theologischen Einsichten der christlichen Tradition: Ziel der ganzen Heilsgeschichte, die mit der Geburt Jesu beginnt, ist die Vergöttlichung des Menschen. Anders gesagt: Wir sind dazu aufgerufen, uns vergöttlichen zu lassen. Denn das ist es, was man als „Erlösungsimpuls“ Christi und der christlichen Tradition bezeichnen könnte.

Innerlichkeit und Mystik

Was genau heißt das? Im Grunde ist das seit den Worten des historischen Jesu schon oft und immer wieder gesagt, aber selten verstanden worden. Denn es geht im Wesentlichen um eine Umgestaltung von innen her, im Inneren der Seele oder des Bewusstseins. Denn genau dort wird der Sohn geboren. Das hat der mittelalterliche Gelehrte und Mystiker Meister Eckhart immer wieder betont. Dort, in der Tiefe der Seele, gebiert Gott seinen Sohn, so wie er ihn in sich selbst gebiert:

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Die Aufklärung ist gestorben und macht einer neuen Religion Platz, dem Transhumanismus

Die Aufklärung ist eine der größten kulturellen, sozialen und philosophischen Errungenschaften der Neuzeit [1]. Sie hat ihr Ziel nicht erreicht, den Menschen von seiner Unmündigkeit und Gebundenheit an dogmatische Glaubenssätze, politische Machtbestrebungen und moralische Zwänge zu befreien. Sie ist vielmehr eines stillen Todes gestorben. Leitartikler und Kolumnisten haben ihren Tod nicht bemerkt und nicht kommentiert. Eine neue Religion hat sich breit gemacht, unduldsamer, dogmatischer und mindestens genauso gewalttätig wie die alte, von der uns die Aufklärung befreien wollte. Die neue Religion ist der Wissenschaftsglaube, der Szientismus mit seinem transhumanistischen Bekenntnis, der Mensch sei Gott und könne daher alles, was er technisch vermag und sozial durchsetzen kann, ausführen [2-8].

Aufklärung

Die Aufklärung war ein gradueller Prozess. Er wird gerne mit großen Namen wie Leibniz, Kant, Voltaire, D’Alembert, Holbach, Diderot im philosophischen Bereich und mit „aufgeklärten“ Monarchen wie Joseph dem Zweiten und Friedrich dem Großen in Verbindung gebracht. Aber im Grunde war es ein laufender Prozess. Er wurde möglich gemacht durch die Einsichten der Wissenschaft, die dem Menschen tieferes Verständnis der Welt und damit eine neue Handhabe gaben. Gleichzeitig wurden damit jene Aspekte der Religion fragwürdiger, die eindeutig Aberglauben waren, etwa die Vorstellung, ein Erdbeben oder eine Seuche sei Strafe Gottes. Man sollte aber auch nicht vergessen: Ohne Religion hätte es nie eine Aufklärung gegeben. Die Aufklärung begann im Grunde im Mittelalter mit jenen Denkern und Philosophen – Kleriker allesamt -, die ihren Verstand dazu einsetzten, der Frage nach dem Grund der Welt nachzugehen [11]. Oft wird Galileo Galileis Kampf gegen die klerikalen Kleingeister als emblematisch für die Aufklärung angeführt. Man übersieht dabei, dass die wirklichen Kleingeister nicht die Kirchenmänner waren, sondern Galileos akademische Konkurrenten. Führende Kirchenmänner wie Kardinal Bellarmin, der spätere Papst, waren Galileo und seinen astronomischen Erkenntnissen sogar unterstützend gewogen. Der Hausarrest, den er am Ende seines Lebens halten musste, war der Tatsache geschuldet, dass er zum einen politisch sehr unklug war und seinen Unterstützer Bellarmin in seinem Dialog leicht erkennbar die Dummerchen-Rolle spielen ließ und sich überdies nicht auf sein Gebiet, die Astronomie und Mathematik beschränkte, sondern sich auch in der Theologie betätigen wollte, was man ihm als Nicht-Theologen ausdrücklich verboten hatte [12-14].

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Neu und alt – eine Reise nach Litauen…

…zu einem Workshop des Next Society Instituts und einige Gedanken zu neuen und alten Religionen

Das Next Society Institute

Ich war gerade für einige Tage in Litauen, in der Hauptstadt Vilnius, zu einem Treffen des Next Society Instituts an der Kazimieras Simonavičius Universität, dem ich seit einem halben Jahr angehöre. Das ist ein Think-Tank einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern, die neue Konzepte für verschiedene Bereiche der Gesellschaft entwickeln (Abb. 1-4). Wir planen eine Serie von jährlichen Konferenzen mit konstruktiven Modellen für die Zukunft.

Abbildung 1 – NSI-Mitglieder Lars Clausen, Augusto Sales und Miguel Pérez-Valls beim Zuhören; Skizzen Franz Hoegl

Im Gegensatz zum momentanen Trend, der alles in das Prokrustesbett einer einzigen wahren Perspektive zwängt und einer Wahrheit unterordnet, gehen wir davon aus, dass es viele Alternativen, viele Äußerungsmöglichkeiten von Kultur, Menschsein, Gesellschaft gibt, und damit auch verschiedene Zukunftsentwürfe, „Futures“ auf Englisch, also Plural, und nicht nur die totalitäre eine Zukunft, eine Wahrheit, eine Gesundheit, eine Politikform, eine Religion, eine irgendwas. Die konzeptuelle Basis ist die Theorie sozialer Systeme von Niklas Luhmann [1].

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