Qualitätssicherung im Gesundheitswesen: Der Leitlinien- und Kontrollwahn – und andere Blüten vom European Congress of Integrative Medicine

Wohin der Irrwitz der Qualitätssicherung führt, wenn er aufs Gesundheitswesen übergreift, und zwar dann, wenn er gepaart wird mit einer Sparmentalität, die gleichzeitig Ressourcen beschneidet ist mir in zweifacher Hinsicht auf dem eben zu Ende gegangenen European Congress for Integrative Medicine [www.ecim-congress.org] in Berlin klar geworden.

Qualitätssicherung hat ohne Frage einige positive Aspekte: man weiß, wen man anmeckern muß, wenn was nicht geklappt hat; man hat eine Reihe hübscher Ordner im Büro stehen; man hat sich viel Gedanken gemacht, wie man Prozesse optimieren kann – und manches davon wird vermutlich sogar umgesetzt. Außerdem hat man aus dem Nichts eine ganze Reihe Stellen in den tertiären Zirkeln der Schattenwirtschaft geschaffen, dem Dienstleistungssektor.

Mittlerweile ist es so weit, dass man ohne Qualitätssicherung bald nicht mehr existieren darf…

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Wissenschaft, Medizin und Esoterik: Grenzen und Übergänge

Prof. Harald Walach spricht über Grenzen und Übergänge zwischen Wissenschaft, Medizin und Esoterik im historischen und aktuellen Kontext. Wissenschaft grenzt sich nicht durch die Inhalte, sondern durch die Methodik von Esoterik ab. In den Grenzbereichen der Wissenschaft aber findet wesentliche Erkenntnis statt. Die Europa Uni Viadrina steht nicht nur mit ihrer geografischen Randlage sondern auch programmatisch für grenzüberschreitende Wissenschaft: „(B)Orders in Motion“

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Okkultismus im Quadrat – Die vermeintliche Sicherheit der Evidence Based Medicine (EBM)

Gleich vorneweg, damit wir uns nicht falsch verstehen: Evidence Based Medicine (EBM) ist an sich eine gute Sache, wenn sie denn das ist, was sie ursprünglich sein sollte [1]:

1. Die beste momentan verfügbare wissenschaftliche Datenbasis
2. im Verein mit dem klinischen Urteil des Arztes, das
3. die Präferenz des Patienten berücksichtigt.

Wenn hierzulande das Wort EBM in den Mund genommen wird, vor allem von solchen Leuten, die nicht viel davon verstehen, wird aber meistens 2 und 3 vernachlässigt oder gar komplett weggelassen. Diese Leute lesen dann häufig „wissenschaftliche Datenbasis“ falsch als „Ergebnis randomisierter, placebokontrollierter, klinischer Studien“.

Gerade raschelt es ja in solcher Weise wieder im Blätterwald: die Liberalen Hochschulgruppen (LHG) Nordrhein-Westfalens werfen Barbara Steffens, der Ministerin für Gesundheit in NRW, vor, sie würde dem „Okkultismus“ Tür und Tor öffnen. Warum? Weil sie der Komplementärmedizin, vor allem der Homöopathie wohlgesonnen sei. „Okkultismus ist die Philosophie der dummen Kerle“, so zitieren die LHG aus NRW Adorno als Antwort auf derlei „okkultistischen Unsinn“.

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„Rocket Science“, Nachhaltigkeit und die Dialektik des Fortschritts

Ich bin tief beeindruckt von der Raumfahrtforschung. Ein Besuch im Expo-Center der European Space Agency (ESA) in Holland hat mir gezeigt, wie viel Energie, Intelligenz, Historie der Erkundung der Naturgesetze, Geld und Teamarbeit in die Raumfahrtforschung fließt. Im ESA Zentrum in Holland arbeiten etwa 3.500 Leute, mit die gescheitesten Köpfe Europas, und es gibt noch einige solcher Zentren in Europa. Sie basteln an Lösungen für die Raumfahrt. Das Dokumentationszentrum zeigt, was schon alles erreicht wurde. Am Eindrucksvollsten fand ich die hochauflösenden Karten und Fotografien der Erde. Der Fortschritt der Naturwissenschaft, auf dem Rücken einer mehr als 500 Jahre langen Geschichte kollektiver Anstrengung der Menschheit, beschert uns diese wirklich grandiosen Errungenschaften.

Der Fortschritt der Naturwissenschaft […] beschert uns diese wirklich grandiosen Errungenschaften.

Mit ihnen kann man z.B. klar und deutlich den Nachweis führen, dass ein Klimawandel dramatischen Ausmaßes im Gange ist. Man kann gut begründen, was passieren muss, wenn wir einige der antizipierten Folgen vermeiden wollen. Die Karte Hollands, die zeigt, wie viel Land bedroht ist, wenn der Meeresspiegel in den nächsten 50 Jahren um einen Meter steigt, ist nur eine davon. Weitere drastische Folgen sind z.B. Verschiebungen von Klimazonen in Afrika und die Flüchtlingsströme, die deswegen – z.B. aufgrund des Kampfes um lebensnotwendige Ressourcen wie Wasser – zu erwarten sind.

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Wie ein Shitstorm entsteht – Sylvain Gouguenheim, Aristoteles, Tabus und die Blogosphäre

Über die Weihnachtstage habe ich einem meiner wissenschaftlichen Hobbys gefrönt und ein Buch gelesen, das schon ein halbes Jahr auf meinem Schreibtisch lag: das spannende Buch von Sylvain Gouguenheim, einem französischen Mittelalterforscher aus Lyon „Aristoteles auf dem Mont Saint-Michel“ [1]. Ich habe mich ja durch die Arbeit an „meinem“ mittelalterlichen Mystiker Hugo de Balma ziemlich intensiv mit der Scholastik und damit auch mit der Überlieferung des Aristoteles im Mittelalter beschäftigt [2-5] und daher hat es mich naturgemäß sehr interessiert zu hören, was es hier an neuen Erkenntnissen gibt.

Gouguenheim zeigt, dass es das ganze Mittelalter hindurch Übersetzungen von Aristoteles gegeben hat

Die Standardmeinung ist ja, kurzgefaßt: Aristoteles war dem lateinischen Mittelalter bis auf wenige Textausschnitte unbekannt und kam erst langsam durch Übersetzungen, zunächst aus dem Arabischen, vermittelt durch Übersetzerschulen in Toledo aber auch in Sizilien und Neapel, wieder ins Bewusstsein der Gebildeten. Hier kommt nun ein Buch, das relativ schlüssig belegt, dass diese Sicht der Dinge falsch ist, zumindest in dieser Ausschließlichkeit. Gouguenheim zeigt, dass es das ganze Mittelalter hindurch Übersetzungen von Aristoteles gegeben hat, dass schon im 12. Jahrhundert, also fast zwei Generationen bevor die Übersetzungen aus dem Arabischen eintreffen, andere Übersetzungen vorliegen und damit der gesamte Aristoteles bekannt war.

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