Derzeit purzelt alles durcheinander, Weihnachten ist bedroht, das Chaos steht vor der Tür, scheint es. Denn es sterben jeden Tag so viele Leute an Corona, heißt es, wie bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen.
Ich habe mich gefragt, ob das wirklich so schlimm ist. Dass viele Leute jeden Tag sterben, das ist ja unbenommen. Nüchtern betrachtet sterben eigentlich immer und an jedem Tag viele Leute, vor allem in einem Land mit 82 Millionen Einwohnern. Ist also die Anzahl der Menschen, die derzeit sterben, größer als man es aus früheren Jahren kennt? Denn das ist ja wohl die entscheidende Frage. Die habe ich mir gestellt. Die kurze Antwort ist: nein.
Der Beleg dafür ist in meiner Grafik zu sehen:
Ich habe hier die Daten aus der deutschen Mortalitätsstatistik des Statistischen Bundesamtes verwendet, die sich jeder herunterladen kann. Ich habe die Rohdaten der Todesfälle je Woche und Jahr verwendet. Diese sind nicht populationsstandardisiert, aber so groß, dass dies ins Gewicht fallen würde, schwankt die Population nicht.
Dann habe ich die Daten der Jahre 2016-2019 zusammengefasst und je Woche gemittelt. Ich habe die Standardabweichung dieser vier Jahre verwendet und den Standardfehler des Mittelwertes je Woche berechnet, mit 1.96 multipliziert und zum Mittelwert addiert. Die blaue Kurve gibt also die Obergrenze dessen wieder, oberhalb dessen eine Abweichung 2020 signifikant (um die klassische 5%ige Signifikanzgrenze) von den Mittelwerten der Jahre zuvor je Woche abweicht. Damit die Kurve etwas leichter optisch interpretierbar ist, habe ich außerdem geglättet, indem je 5 Wochen zusammengefasst sind; die Fehlerbalken geben die Variabilität innerhalb dieser Zeit an.
Was sehen wir?
- Gerade in den Anfangswochen des Jahres bis zur ersten Märzwoche waren in den Jahren 2016 bis 2019 wesentlich mehr Todesfälle zu verzeichnen als 2020.
- Ab Kalenderwoche 11 (also ab der zweiten Märzwoche) bis KW 20, also Mitte Mai, haben wir 2020 mehr Todesfälle gehabt, als in den Jahren zuvor. Das hat sich über den Sommer wieder ausgeglichen, wo in den Jahren zuvor mehr Todesfälle waren.
- Im Sommer 2020 (KW 30-35) waren etwas mehr Todesfälle zu verzeichnen.
- Seither ist die Kurve der Anzahl der Todesfälle 2020 ziemlich deckungsgleich mit dem, was man statistisch erwarten würde, wenn man es mit dem Durchschnitt der letzten Jahre und seiner statistischen Schwankung vergleicht. Es gibt im Moment einen kleinen Ausreißer nach oben. Das dürften die vielbeschworenen „vielen Coronatoten“ sein, die derzeit zu beklagen sind.
Allerdings sieht man auch: So groß ist die Abweichung von den letzten Jahren nicht. Vor allem dann nicht, wenn man es mit dem sehr großen Ausreißer am Jahresanfang in den Vorgängerjahren vergleicht, der die saisonalen Grippewellen widerspiegelt. Ich sehe also in den Daten keinen Grund zur übermäßigen Sorge. Denn Wellen mit Todesfällen, die irgend einem Erreger geschuldet sind, der alte Menschen aufgrund von Atemwegserkrankungen dahinrafft, gab es schon immer. Natürlich ist auch klar, dass Corona-Kranke das System stärker belasten, als „normale“ Lungenentzündungspatienten. Daher sollte die Belastung des Systems der Maßstab für alle Maßnahmen sein und weder nackte Zahlen von Todesfällen – die können nämlich sehr täuschen, wie wir sehen – noch Infektionszahlen aufgrund von PCR-Tests. Die sind nämlich, wie ich in den letzten Blogs gezeigt habe, nur begrenzt nützlich.
Man muss vielleicht einschränkend folgendes beachten: Ich habe hier vier sehr verschiedene Jahre zusammengefasst. Das habe ich deswegen getan, weil man nur so einen robusten Vergleichsstandard erhält. In diesen Jahren war die starke Grippewelle 2017 enthalten. Das ist der große blaue Berg in den ersten Wochen. Aber allein an dem sehen wir: wir hatten schon Jahre mit wesentlich mehr Todesfällen als jetzt.
Außerdem muss man folgendes beachten: Wenn in einem Jahr – z.B. aufgrund eines milden Winters, oder aufgrund einer Impfkampagne gegen Grippe – weniger alte Menschen sterben, dann ist das Reservoir derer, die im nächsten Jahr empfänglich für irgendeinen Erreger sind, sehr viel größer und es sterben dann wieder mehr.
Das ist im Übrigen genau das, was in Schweden passiert ist. Anders, als das in der populären Presse und den Medien berichtet wird, gibt es in Schweden keine besonders auffälligen Todesfälle. Das hat soeben eine sorgfältige Vergleichsstudie gezeigt [1]. Die Autoren – norwegische Forscher aus Tromsø und Oslo – haben die Mortalitätsdaten von Schweden und Norwegen verglichen. Schweden hat bekanntlich eine relativ liberale Politik gefahren, Norwegen hat starke Einschränkungen erlassen.
Die Autoren haben jeweils die mittleren wöchentlichen Sterbezahlen je Jahr und Land errechnet und dann die populationsstandardisierten Mortalitätszahlen je 100.000 Einwohner errechnet. Dann haben sie den Unterschied der Jahre zuvor zum Jahr 2020 ermittelt und die Verhältniszahlen. Die Mortalitätszahlen waren in beiden Ländern vergleichbar. Die Covid-19 bezogenen Todesfälle waren in Norwegen 0,2 auf 100.000 Einwohner und in Schweden 2,9 auf 100.000 Einwohner. Dieser Unterschied bzw. die Steigerung lässt sich leicht verstehen dadurch, weil in Schweden im Jahr zuvor die Mortalitätsrate niedriger war. Im Jahr 2020 stieg sie dann während der Corona-Pandemie wieder leicht an. Das nennen die Autoren „mortality displacement“, also Verschiebung der Mortalität. Weil im Jahr zuvor weniger alte Menschen starben, fallen sie im Jahr 2020 leichter einem neuen Erreger zum Opfer. Aber insgesamt ist das Geschehen eben genau nicht in irgendeiner Weise extrem oder auffällig.
Dies gilt auch für Deutschland, nur dass ich hier keine Verhältniszahlen ausgerechnet habe und die Daten nicht populationsstandardisiert sind. Aber man sieht auch so: Es gibt keine außergewöhnliche Mortalität in Deutschland. Was es an Ausreißern in diesem Jahr gab, war früher im Jahr und dürfte, so wie in Schweden auch, eher durch eine Verschiebung der Mortalität über die Jahre zustande gekommen sein.
Ich wiederhole, was ich schon seit Wochen schreibe: In den Daten ist keine Spur eines Killervirus zu sehen. Nur im Fernsehen und in der Politik.
Quellen
1. Juul FE, Jodal HC, Barua I, Refsum E, Olsvik Ø, Helsingen LM, et al. Mortality in Norway and Sweden before and after the Covid-19 outbreak: a cohort study. medRxiv. 2020:2020.11.11.20229708. doi: https://doi.org/10.1101/2020.11.11.20229708.